Antonius Eschke | Eine Reise

Huacachina

Samstag, 24. Februar 2024 | Reiseberichte

Trotz der Meinungsverschiedenheit mit meinen Innereien, ließ ich es mir nicht nehmen, die Sehenswürdigkeiten Icas zu erkunden. Tjorben, der zwar auch kurz über Durchfall klagte, steckte dies wesentlich besser weg. Vermutlich war sein Körper durch die vielen Reisen in Indien und Südostasien bereits unempfindlicher geworden.

Ganz in der Nähe des Hostels ragte ein Kirchturm in den Himmel, wir nutzten eine der knapp bemessenen Pausen zwischen den Toilettengängen, um uns die Kirche einmal anzusehen. Es ist erstaunlich, sie ist von einer katholischen Kirche in der Heimat kaum zu unterscheiden.

Das Innere der Kirche war geschmückt, genau wie es sich für eine katholische Kirche gehört: aufwendige Statuen, viele güldene Verzierungen und ein imposanter Altar.

Tjorben bekreuzigte sich, er war katholisch erzogen worden. Ich tat es ihm gleich, denn ich weiß, dass meine Großeltern zu Hause für mich beten. Meine Oma hatte mir vor der Abreise einen Talisman geschenkt. Ein kleines silbernes Amulett mit dem heiligen Christopherus, dem Schutzpatron der Reisenden auf der Vorderseite. Die Rückseite schmückt der Schriftzug „Gott schütze dich“. Diesen bekam meine Oma vor 70 Jahren und dieser schützte sie all die Zeit und nun schützt er mich.

Mit feuchten Augen holte ich den Anhänger hervor und genoss den Moment der Ehrfurcht.

Lange Zeit meines Lebens hatte ich mich der Logik verschrieben, dem messbaren Teil der Welt. Was ich nicht beweisen kann, das gibt es nicht. Was für eine Arroganz! Ich kann die Blätter eines Baumes zählen, das Gewicht ermitteln, das Alter, die Art und sogar die kleinsten Bestandteile der Zellen. Doch nichts davon wird mich so berühren, so erstaunen, so beruhigen wie der Baum, wie er einfach Baum ist und sich vor mir auftut. Nicht alles was man messen kann zählt und nicht alles was zählt, kann man messen. Und so haben die Menschen eine Vorstellung von einer Kraft, die sich des Verstandes entzieht. Beweis ist einzig und allein das Erleben auf einer tiefen Herzensebene, spirituell, individuell, von Mensch zu Mensch unterschiedlich, es ist der Glaube.

Beseelt von dieser göttlichen Erfahrung, verließen wir die Kirche. Wieder bereit für die nächste Krisensitzung, wartete ich auf Tjorben, der an einem der vielen Souvenirstände stöberte.

Am späten Nachmittag, ich hütete das Bett, kam Tjorben ins 8-Bett-Zimmer und bat mich, ihm meine Mütze auszuleihen, er wolle einen Amerikaner zu einer Tour in der Wüste begleiten. Er fragte gar nicht erst, ob ich mitkommen möchte, die Hoffnung gab er bereits auf.

Doch ein stummer Befehl druckte sich auf meinen Frontallappen. Ich werde die Reise nicht von der Keramik oder der Federkernmatratze aus erleben. Ich warf mir schnell etwas über und gesellte mich zu Tjorben und Aiden, dem Ami.

Die Tour wurde vom Hostel organisiert, sie sollte 50 Soles kosten, umgerechnet 12,50 €. Ich zahlte und dann stiegen wir in das Taxi. Die Tour begann im nicht weit entfernten Huacachina, einer malerischen Oase in der Wüste.

Tjorben und ich waren einige Tage zuvor schon einmal in den frühen Morgenstunden da gewesen und hatten uns den Ort angesehen. Ein kleiner Teich umrundet von Palmen und kolonialen Bauten, genau, wie man sich eine Oase vorstellt.

Leider ist die Oase von oben bis unten durchtouristisiert. Sie wird mit städtischen Wasservorräten gespeist, um nicht zu versiegen. Überall sind teure Restaurants, Hotels und Souvenirshops. Bevor man den Ort auf sich wirken lassen kann, wird man schnöde von motivierten Verkäufern mit Fotoalben unterbrochen, die einem die Dünentouren verkaufen wollen.

Doch schön ist es dennoch!

Wir trafen uns mit dem Rest der Tourteilnehmer und machten uns zu Fuß auf den Weg in die Dünen. Kein leichtes Unterfangen für meine ausgemergelten Gliedmaßen, doch die Neugierde blieb ein verlässlicher Antrieb.

Auf der ersten Anhöhe angekommem erblickten wir reges Treiben und jede Menge Strandbuggies. Aufgemotzt und kreativ lackiert, die Motoren heulten in der Ferne, so etwas wird es im Land des TÜV‘s und der Fahrradcops niemals geben.

Begeistert stiegen wir in den 9-Sitzer ein, schnallten uns fest an und los ging die wilde Fahrt. Der Fahrer preschte durch den Sand, das Fiepen des Turboladers, das Dröhnen des 6-Zylinders, die warmen Abgase im Gesicht, das Blenden der Nachmittagssonne, das Stechen des wehenden Sandes auf den Wangen, die räumliche Neuanordnung meiner Organe durch das Schaukeln. Ein Crossover von Dune, Mad Max und DMAX. Untermalt mit den Achterbahnschreien der dänischen Reisegruppe auf den hinteren Sitzplätzen. Großartig!

Auf einer höheren Düne blieb der Bolide stehen, Zeit für ein paar Fotos und Wintersport. Wir bekamen alle eine Art Snowboard in die Hand gedrückt. Dann kniete sich der Guide am Rand des Abhangs hin und fragte nach Freiwilligen. Ohne Zögern gingen Tjorben und ich vor und ließen uns in die Feinheiten des Dünen-Rutschens einweisen.

In Bauchlage ging es hinab

Unten angekommen galt: mit eigener Kraft wieder rauf auf die Düne. Ich zeigte wozu der menschliche Wille fähig ist, mit den letzten beiden Phosphat-Molekülen, die in meinem Oberschenkel noch übrig waren, erklomm ich die Düne. „Was für eine Heldentat!“, bemitleidete ich mich selbst.

Bei den nächsten Abfahrten holte uns der Fahrer mit dem Buggie unten ab. Verzweifelt kratzte ich die letzten Tropfen Wasser aus der kleinen Flasche, die ich geistesgegenwärtig vor der Tour erwarb.

Nach einigen weiteren Dünen fuhr der Fahrer zu einer Stelle von der man einen atemberaubenden Ausblick auf die Wüste und den Sonnenuntergang erhielt. Es gibt ein arabisches Sprichwort, welches mich seit langem verfolgt: Willst du Ruhm, geh in die Paläste, willst du Reichtum, geh auf die Märkte und willst du Frieden, geh in die Wüste.

Diese Stille, diese unendliche Weite, diese Monotonie. Ich hatte nicht erahnen können, so früh diese Erfahrung zu erleben. Schicksal!

Ich vergrub meine Füße im warmen Sand, setzte mich und richtete den Blick der Sonne zu. In diesen Momenten wird der Verstand ausgestellt. Man ist wieder nur bei sich. Das Himmlische an diesem Bild ist nicht das Bild, das Himmlische ist in einem. Durch mich existiert das, ich bin Schöpfer und Genießer.

Auch meine Gedärme waren sprachlos, über drei Stunden gaben sie Ruhe und ich hatte nichts als meine ungeteilte Dankbarkeit für sie übrig.

Nachdem die Sonne hinter den Dünen verschwunden war, ging es zurück zur Oase. Auf dem Weg vom Buggie zum Taxi lies Tjorben jedes bisschen Plastikmüll in seiner Quere auf, um es dem Mülleimer zuzuführen. Obwohl die Reinigung des Sandes absolut aussichtslos ist, ließ ich mich von Tjorbens Selbstherrlichkeit anstecken und sammelte mit. Zwei Dinge, die tief in den Deutschen verankert sind: Moralismus und schlechtes Gewissen.

Es gibt schlimmeres!

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