Antonius Eschke | Eine Reise

Bereit für was Festes

Samstag, 24. Februar 2024 | Reiseberichte

In Ica probierten Tjorben und ich zum ersten Mal die lokalen Märkte aus. Es ist laut, es ist bunt, es ist voll und nicht identifizierbare Düfte steigen einem in die Nase. An einem besonders schön hergerichteten Obsthändler blieben wir stehen und mit Staunen packten wir verschiedenste Früchte in eine Tüte. Mango, Maracuja, Kaktusfeige, Drachenfrucht und eine Frucht, die wie ein Drachenei aussah.

Wir schlenderten weiter durch die engen Gänge des Marktes. Kurz am Ende eröffnete sich uns eine Meile mit Cevicherien. Ganz simpel: eine Cevicheria ist ein Restaurant, welches Ceviche anbietet. Mein Herz schlug höher und ich bestellte einmal das Ceviche Mixto im Mittagsangebot. Es gibt eine Fischbrühe mit roten Zwiebeln, Koriander und Limette zur Vorspeise, gefolgt von einem Teller voll mit den tollsten Meeresfrüchten mariniert in der berühmten Leche de tigre. Eine Marinade aus Limettensaft, Chili, püriertem Fisch und Sellerie. Der rohe Fisch wird durch die Säure der reifen Limetten gegart. Für meinen norddeutschen Gaumen ein Meisterwerk!

Serviert wird Ceviche mit gekochter Süßkartoffel, verschiedenen Maissorten, roten Zwiebeln und Koriander. Dem aus dem Schwarzwald stammenden Tjorben ist die Vorstellung rohen Fischs noch etwas zuwider, er verzichtete.

Gestärkt ging ich mit Tjorben zurück ins Hostel, wir setzten uns in die Skybar, baten um einen Teller und ein großes Messer. Dann machten wir beiden deutschen Vitamin-Mangelerscheinungen uns wie die Tiere über die reifen Früchte her. Es war ein wahres Fest mit Geschmatze, Geschmiere und viel Freude. Solche leckeren Früchte hatte ich in meinem Leben noch nie gegessen. Die Mango war dermaßen reif und wie in der Szene aus Avatar vergrub ich mein Gesicht mit beiden Händen in dem saftigen Vergnügen.

Wie blöd kann ein Mensch sein?

Viele Stunden und Tage auf der Toilette werden ins Land ziehen und Land werde ich sobald keines mehr sehen. Körper und Seele waren sich nie fremder, rebellierend gaben meine Gedärme alles genau so wieder frei, wie ich es oben zuführte. Durchfall ist ein kleines Wort. Ich soff Wasser und Elektrolytgetränke wie ein Brauereigaul, um der rasanten Dehydrierung Einhalt zu gebieten. Die unsägliche Wüstenhitze rundete das Paket perfekt ab. Es war, als versuche man einen auf der Seite liegenden Eimer zu füllen.

Als am fünften Tag dann das untere Ende der Wildwasserbahn zum Ausspülen nicht mehr ausreichte und sich mein Mageninhalt entgegen aller Schwerkraft auch über die Öffnungen in meinem Gesicht geysirartig aus meinem Körper befreite, reichte es mir. Bevor ich einen Exorzisten aufsuche, fahre ich schleunigst ins Krankenhaus.

Der Service des Hostels war ausgezeichnet, ich schilderte mein Problem, eine Fahrt zum Krankenhaus wurde organisiert und binnen einer Viertelstunde stand ich auf dem Gelände des Krankenhauses. Wobei das Haus gar keine große Rolle spielte, die Behandlung der Patienten fand im Freien statt. Ich kam sofort dran, allerdings sprach dort keiner englisch. Mit Übersetzer und deutlichen Handgesten um den betreffenden Bereich herum, machte ich mich verständlich und schlussendlich verfügte die bemühte Ärztin, die in einem umgebauten Container ihre Praxis hielt, eine ganzheitliche Antibiotka-Behandlung mit starken Schmerzmitteln.

Ich, durch die Austrocknung schon geistig kaum noch anwesend, setzte mich in einen Raum mit vielen ächzenden Peruanerinnen, die allesamt am Tropf hingen. Ein Krankenbruder (wunderbar gegendert, wie ich finde) setzte mir eine Infusionsnadel, die so dick war, dass man damit auch hätte Donuts füllen können. Er staute zunächst mit einem seiner Gummihandschuhe mein Blut am linken Arm und desinfizierte die Stichstelle. Es muss für ihn ein leichtes gewesen sein. Meine blasse weiße Haut und die Entwässerung zeichneten jedes meiner Gefäße exzellent ab.

Er schloss das Antibiotikum und die Schmerzmittel an und wenige Sekunden später, war die Austreibung vollendet. Ich spürte nix mehr. Taub, gelähmt und blind saß ich da auf einem klapprigen Stuhl, in einem schlecht beleuchteten Behandlungsraum eines öffentlichen Krankenhauses in Ica in Peru auf dem süßamerikanischen Kontinent.

Der Zustand war unglaublich schön. Ein Zustand von „No Mind“, von „Ich bin!“, von Meditation. Vermutlich nehmen Menschen deshalb Drogen. Der Moment hielt wenige Minuten an, bis ich mein Augenlicht zurück erhielt. Auf dem Fliesenboden sah ich eine mittelgroße Schabe krabbeln. Plötzlich saßen völlig andere Patienten um mich herum. Heute war der falsche Tag um Fragen zu stellen.

Ich wurde entlassen und sollte mir bei der Medikamentenausgabe noch Durchfallmittel und Antibiotika in Kapselform abholen. Die Behandlung an öffentlichen Krankenhäusern ist in Peru kostenfrei, lediglich für die Medikamente zahlte ich umgerechnet 5,- €. Damit werde ich die Auslandskrankenversicherung nicht behelligen.

Ich würde noch eine ganze Weile Durchfall haben, doch das schlimmste war überstanden. Ich sorgte mich nicht mehr, jeden Moment dem Nährstoff- und Wassermangel zu erliegen. Ich konnte sogar wieder essen. Nicht viel und auch nicht mit Genuss, aber zweckmäßig.

Die ersten 10 Tage meiner Reise verbrachte ich viel Zeit auf dem Klo. Und während ich nachmittags um 16 Uhr das zwölfte Mal einsam und traurig auf dem Klo sitze, wird mir klar: ich bin bereit für was festes!