Antonius Eschke | Eine Reise

Arequipa

Montag, 26. Februar 2024 | Reiseberichte

Genug Wüste. Genug Luxus-Hostel. Genug Ica.

Ich buchte Bustickets für einen Nachtbus von Ica nach Arequipa. Ich buchte 21.02. 19:05 Uhr, ich bekam 22.02. 18:00 Uhr. Wir bemerkten diesen kleinen Buchungsfehler erst, als uns der Kontrolleur am Busbahnhof darauf hinwies. Müde und genervt buchten wir am Schalter um, denn noch eine Nacht in Ica wollten wir nicht bleiben. Wir erhielten Tickets für einen teureren Bus mit der Abfahrtszeit 23:55 Uhr. Also noch 5 Stunden warten.

Wir verließen den Busbahnhof und kehrten in einer Sportbar auf der anderen Straßenseite ein. Lustlos und erschöpft setzten wir uns, bestellten Snacks und Getränke und warteten.

Erwähnte ich, dass der Geräuschpegel in Peru überall fast unerträglich ist?

Fünf Stunden warteten Tjorben und ich. Wir wechselten kaum ein Wort. Ich starrte abwechselnd auf die Speisekarte, die chauvinistischen Musikvideos auf den Flachbildschirmen und die Zwiebelringe, die ich bestellt hatte. Ich kann kein frittiertes Essen mehr sehen. Alles wird frittiert. An jeder Ecke. Überall riecht es nach altem Fett.

Ich merkte, wie ich unleidlich wurde. Dieser ätzende Durchfall, das schlechte Essen, das Versagen des Busunternehmens. Das erste Mal auf der Reise dachte ich ans Nachhausefliegen. Immer wieder hatte ich vor der Reise betont, dass ich keine Erwartungen habe. Doch scheinbar rechnete ich mit paradiesischen Zuständen. Tjorben tat mir Leid. Ein schlecht gelaunter Antonius ist nahezu unausstehlich.

Begeistert legte mir Tjorben sein Telefon hin, darauf war eine Übersicht für einen Kochkurs in Arequipa abgebildet. Respektlos schob ich das Gerät mit einer der Speisekarten zurück auf seine Tischhälfte. Resigniert und enttäuscht steckte er es wieder ein. Ich war zu weit gegangen.

Wir bestiegen den Bus und fanden eine ausgezeichnete Ausstattung vor. Gut klimatisiert, bequeme Liegesitze und genug Platz für Gebein und Gepäck. Unsere Plätze waren etwas voneinander getrennt, wir hatten jetzt 14 Stunden Zeit für uns selbst.

Ich konnte gut schlafen, die Fenster waren verdunkelt und der Bus fuhr trotz der verbesserungswürdigen Straßenqualität ausgesprochen weich. Nicht, dass wir Schlaglöcher in der Heimat nicht gewohnt wären.

Um 14 Uhr erreichten wir Arequipa, eine Millionenstadt im Süden Perus. Auf 2500 Metern Höhe gelegen, mit viel Niederschlag und angenehmen 20 Grad Celsius Außentemperatur. Endlich erträglich!

Wir buchten eine Nacht in einem Hostel direkt im Zentrum. Das 14-Bett-Zimmer war spartanisch eingerichtet, gegen das Hostel in Ica glich dieses eher einer Kaschemme. Von der Rooftop-Bar genoss man aber einen atemberaubenden Ausblick auf die umliegenden Vulkane, die teilweise wahnwitzige 6000 Meter hoch sind.

Ich legte mich direkt wieder hin, die letzten beiden Wochen spürte ich in jeder Zelle und ich brauchte richtigen tiefen durchgehenden Schlaf in einem Bett.

13 Stunden schlief ich. Ich schlief mit den Airpods in den Ohren ein. Die Geräuschunterdrückung verschaffte mir Stille und Geborgenheit. Tjorben schlug die Zeit in der Rooftop-Bar tot. Das Kennenlernen von neuen Leuten, das gemeinsame Rauchen und Biertrinken ist für ihn Quell von Energie und Lebensfreude. Immer wieder versuchte er, mich davon zu überzeugen, seiner Philosophie zu folgen: „Toni komm doch mal, du verpasst was, hier sind ein paar besoffene Russen!“

Doch das ist der größte Unterschied unserer beider Wesen: ich beziehe meine Energie und Lebensfreude aus Momenten der Stille, des Alleineseins. Wenn ich einen Menschen kennenlernen möchte, spüre ich es vorher. Wie eine besondere Verbindung. Wieder etwas, was sich dem Verstand entzieht, es passiert einfach. „Maktoub!“ sagen die Araber, „Es steht geschrieben!“ – Schicksal! Nie zuvor hatte ich es so klar. Immer hatte ich mich gefragt, was mit mir falsch ist. Tjorbens Weg ist doch wünschenswert, schwungvolle Geselligkeit und Teilnahme gelten gemeinhin als erstrebenswerte soziale Fähigkeiten, zumindest in meiner bisherigen Realität. Doch nun fiel es mir erneut wie Schuppen von den Augen: ich bin, wer ich bin und das ist genug!

Am nächsten Morgen sprach ich mit Tjorben darüber und plötzlich war der Druck raus. Wir akzeptierten unsere Wesenszüge, das Reisen brachte uns wieder einmal näher zusammen. Darauf stießen wir mit einem Tee aus Cocablättern und Mate an.

Den Kochkurs, den Tjorben mir zeigte und welchen ich in meiner Frustration abwies, hatte ihm Aiden der Ami aus Ica empfohlen. Wir gingen zu dem Restaurant, wo selbiger stattfinden sollte und meldeten uns an. Schickes Viertel, schickes Restaurant und ein stolzer Preis. Umgerechnet 40,- € kostete der Spaß und genau das war es.

Gemeinsam mit dem Koch setzten wir uns an einen Tisch und er begann, uns das Menü zu erläutern: Zur Vorspeise Ceviche aus Mahi Mahi, einem mageren Seefisch, dazu gekochte Süßkartoffel, gerösteter Mais und Zwiebeln. Zum Hauptgang Lomo Saltado, ein Wok-Gericht aus Filet Mignon, Tomaten und Zwiebeln, dazu Papas Fritas. Chinesische Einwanderer machten dies zu einem Nationalgericht. Zum Trinken gab es selbstgemachten Pisco Sour und Chicha Morada, ein Kaltgetränk aus lilafarbenem Mais, Ananas und Weihnachtsgewürzen.

Komplett instruiert, ging es in die Küche. Nichtsahnend, dass Tjorben und ich schon das ein oder andere Mal Speisen zubereitet hatten, fing der Koch bei Null an und zeigte uns, wie man ein Küchenmesser richtig hält und eine Zwiebel schält. Wir ließen ihn gewähren, denn vielleicht hat er ja ein paar Küchentricks auf Lager, die wir noch nicht kannten. Und tatsächlich, den Knoblauch schnitt er direkt am vorderen Rand des Brettes (wegen der Fingerkuppen) mit der dicken Rückseite des Messers. So entsteht buchstäblich im Handumdrehen ein feines Püree.

Nachdem er uns alles gezeigt hatte, ließ er uns an die Arbeit. Souverän bereiteten wir das Gemüse in Sekundenschnelle vor. Erstaunen befahl die Mimik des Mannes. Vorsichtig fragte er: „So do you Guys have cooked before?“

In unserer Ausbildung zum Ernährungstherapeuten lernten wir astreine Hygiene im Küchenbereich. Die Standards dort waren davon weit entfernt. Wir sahen darüber hinweg.

Offenes Schuhwerk? In Deutschland ein Tabu!

Kein Youtube-Video und kein Kochbuch, bringen einem das Kochen so gut bei, wie das Kochen selber, unterstützt durch einen Profi.

Der Kochkurs war ein voller Erfolg. Dinge zu tun, die man verdammt gut kann, macht auch immer wieder Spaß.

Die 280 Gramm totes Tier in meinem Magen sorgten jedoch für ein außerordentliches Sättigungsgefühl, schnell traten wir den Rückweg durch das schöne Künstlerviertel ins Hostel an. Zeit, sich wieder etwas auszuruhen.

Am nächsten Tag stand alles im Zeichen des Fußballs. In Südamerika ist das eigentlich überall und jeden Tag der Fall.

Aber heute spielte die Mannschaft von Arequipa gegen ein Team aus dem Norden. Erste Liga! Bevor wir uns abends mit einer Truppe motivierter Briten, die Tjorben in der Rooftop-Bar kennengelernt hatte, trafen, gingen wir noch in einem indischen Restaurant essen. Der Koch aus Kalkutta zauberte die feinsten indischen Speisen, wir waren im siebten Himmel. Wir zahlten und erwinkten uns ein Taxi zum Stadion.

Beim Kaufen der Tickets für die Südkurve, die läppische 3,- € kosteten, sollten wir unsere Reisepässe vorzeigen. Ich hatte meinen im Hostel gelassen, das Busticket nach Arequipa in meinem Email-Postfach reichte dem Kassierer aber auch. Und es reichte dem Sicherheitsdienst am Eingang und es reichte der Polizei hinter dem Eingang. Ich an deren Stelle, hätte mir bei deutschen und britischen Fußballfans etwas mehr Sorgen gemacht.

Wir waren drin und das zählte. „Let’s grab some beer!“, hörte ich die Briten sagen. Doch weit gefehlt, in südamerikanischen Stadien, wird wohl kein Alkohol ausgeschenkt. Nun verstand ich die Lässigkeit beim Einlass.

Während des Spiels regnete es in Strömen, die Ränge waren dünn besetzt, das gesamte Bild erinnerte eher an Kreisliga, doch die Fanblöcke beider Mannschaften machten richtig Stimmung, akustisch auf Allianzarena-Niveau.

Beide Teams hatten einen Elfmeter versenkt, dadurch stand es 1:1. In der 75ten Spielminute fiel dann das 2:1 für Arequipa, dieses wurde aber hitzig in Frage gestellt. Minutenlang diskutierte eine Traube aus Spielern, Schieds- und Linienrichtern, keiner verstand, was los war. Auf einmal ging der Schiedsrichter auf einen Trainer zu und erteilte eine sehr deutliche rote Karte. Zurück in der Traube entschied der Schiri für Arequipa und das Spiel war zuende…

HÄ!?

„So ein Bildschirm mit Kameraperspektiven hat seinen Vorteil“, dachte ich. Völlig durchnässt und desillusioniert verließen wir das Stadion und versuchten ein Taxi zu ergattern, kein leichtes Spiel nach einem Topmatch in dem Stadion. Doch irgendwann erhielten wir den Zuschlag und fuhren ins Hostel, dieses stand ebenfalls Unterwasser. Das Aufwärmen dauerte ein Weilchen, dann ging ich schlafen.

Am morgen checkten wir aus. Wir schlenderten noch eine Weile durch die Stadt, tranken auf einem Markt einen frischen Saft aus Orange, Mango und Ananas (ich versuche gar nicht erst zu beschreiben, wie gut dieser war) und gingen in einem türkischen Restaurant etwas essen. Auf der Karte stand erstaunlich viel Schweinefleisch. Andere Länder und so weiter. Ich aß ein gutes Falafel-Sandwich, Tjorben Hähnchendöner mit Käse überbacken. Wir waren beide froh, ich konnte wieder normal und mit Genuss essen!

Wir brachen zum Busbahnhof auf. Die Zeit in Arequipa neigte sich dem Ende, nächstes Ziel der Reise: Puno am Titicacasee.