Antonius Eschke | Eine Reise

Toni und der Tempel des Todes

Mittwoch, 1. Mai 2024 | Reiseberichte

6 Uhr morgens. Ich öffnete meine Augen. Ich hatte wie ein Stein geschlafen. Das tagelange Busfahren, Tag und Nacht, hatte mich viel Energie gekostet. Ich war in eine Art Überlebensmodus geraten „Wir kommen heil in Trujillo an, koste es, was es wolle!“. Es funktionierte, doch ich erbrachte viele Opfer.

In zwei der anderen Betten erwachten zwei Briten. Coole gutaussehende Typen. Ich fragte sie, ob sie an dem Tag irgendwas vorhätten. Sie wollten die archeologischen Ausgrabungen in Stadtnähe besuchen, ich fragte sie höflich, ob ich mich anschließen dürfe. Freudig bejahten sie.

Ich ging auf die Dachterrasse, genoss das maritime Klima und die Sonnenstrahlen. Die Terrasse sah wunderschön aus und es gab eine gut ausgestattete Küche. Optimal!

Das bezaubernde Mädchen im Bus nach Trujillo hatte mir Mangos und Bananen geschenkt, daraus machte ich mir einen erfrischenden Smoothie zum Frühstück. Die Briten bereiteten sich geröstetes Brot mit Avocado und pauchierten Eiern. Der kulinarische Unternehmergeist sagte mir sehr zu, ich bot den beiden an, am Abend gemeinsam zu kochen und Cocktails zu trinken. Wir verstanden uns sofort.

Danach machten wir uns auf den Weg zu den Ausgrabungen, ich brauchte aber erst noch Sonnencreme und Bargeld, wenn man nicht gerade neue Ölfilter für eine S-Klasse benötigt, bekommt man in Südamerika alles und zwar immer gleich um die Ecke. Wir stiegen in ein Taxi und fuhren raus aus der Stadt zu den berühmten Sandstein-Überresten der Moche-Kultur, diese lebten lange vor den Inka und hatten in der Nähe von Trujillo eine große Stadt errichtet, in der damals an die 20.000 Menschen lebten.

Die Sonne knallte und wir waren mitten in der Küstenwüste von Peru. Es war der erste richtige Tag des Alleinereisens und ich hatte gleich Freunde gefunden. Rupert und Oli waren zwei sehr lustige Briten, wir hatten denselben Humor und ich freute mich, endlich richtig englisch sprechen zu können. Ich liebte die englische Sprache. Seit sehr langer Zeit schon schaute ich Filme und Videos in der englischen Originalvertonung und besonders den britischen Akzent genoss ich sehr.

„German people are crazy, they speak every language in the world!“

Ich war stolz, dass sie von mir diesen Eindruck hatten, auch wenn das maßlos übertrieben war. Zumindest in meinem Fall. Ich spreche gut englisch mit deutschem Akzent, absolut dürftig spanisch und außergewöhnlich gut deutsch. Aber es gibt viele Deutsche, es sind vor allem die Mädels, die alles sprechen, was es gibt und zwar völlig akzentfrei. Ich kann mich gut an die fleißigen Bienchen im Sprachunterricht erinnern. Ich war keiner von ihnen. Wir lernen in Deutschland ab der dritten Klasse Englisch, es ist Teil der Grundbildung und ist sogar fester Teil der Abiturprüfung. Zum Unterricht gehört auch, nach und nach den deutschen Akzent zu überwinden und die Mädels leisten Folge, sie sprechen das reinste Englisch der Welt, niemand kann erkennen, woher sie kommen, es gibt keinen Ort auf der Welt, wo so ein Englisch gesprochen wird.

Ich habe nie verstanden, was das soll. Auf Reisen habe ich festgestellt, dass es total Spaß macht, verschiedene Akzente zu hören und den jeweiligen Nationen zuzuordnen. Akzent ist Heimat. Ich hatte die Briten angesprochen mit: „Good morning, lads! You‘re british right?“ und sie entgegneten: „Yeah! From which part of germany are you from?“. Ich für meinen Teil liebe Akzente und gebe mir nicht viel Mühe, meinen zu überwinden.

Die Ausgrabungen der alten Stadt legten riesige Sandsteinmauern, Fundamente und Gebäudestrukturen frei, manche von ihnen aufwändig verziert.

Fische waren wichtige Symbole der Moche-Kultur

Wir gingen vorbei an großen Plätzen, beeindruckenden Bewässerungsanlagen und Marktplätzen. Das Mauerwerk wurde immer detaillierter und schöner.

„Looks like Beef Wellington!“

Das war das britischste, was ich je gehört habe. Ich mochte die beiden sehr. Wir verließen die Stadtmauern und gingen ein Stück durch die Wüste zu einer Pyramide. Auf dem Weg startete Oli ein Fragespiel. Er fragte, was das größte Tier wäre, was wir in einem Kampf mit bloßen Händen töten könnten. Was für eine absurde Frage, aber ich kam aus dem Lachen nicht mehr heraus, als die beiden völlig ernst darüber diskutierten. Rupert gab weltmännisch an, er könne eine Kuh töten. Er würde einfach solange gegen die dünnen Beine treten, bis sie umfällt und sie dann umbringen. Er machte dabei tretende Bewegungen, um seine These zu verdeutlichen. Genau mein Humor!

Die Pyramdie, sah genau so aus, wie man sich eine Pyramide einer alten südamerikanischen Kultur vorstellte. Eigentlich war es nicht erlaubt, die Pyramide zu besteigen, aber Regeln sind in Südamerika nur behördliche Empfehlungen. Zeit, über meinen deutschen Schatten zu springen.

Danach gingen wir ins nahegelegene Museum. Ein modernes klimatisiertes Gebäude mit allerhand faszinierenden Gegenständen, Skulpturen und Szenerien.

Wir machten einige unangemessene imperialistische Scherze, wie für europäische Halbstarke üblich, lachten herzlich und genossen die kühle Atmosphäre im Museum.

Danach winkten wir uns wieder ein Taxi heran und ließen uns zum örtlichen Supermarkt fahren. Es war der erste Supermarkt, der wie ein Supermarkt in Europa aussah. Es gab alles Erdenkliche zu kaufen und wir deckten uns mit tollen Lebensmitteln ein, die wir abends zu einem leckeren Mahl zusammenfügen wollten. Supermärkte in Südamerika sind immer teurer als die Wochenmärkte, in Deutschland ist es leider genau andersherum. Wir stellten uns an einer der Kassen an und plötzlich wussten wir wieder, dass wir in Südamerika waren. Die Kassiererin stand zwischendurch auf, verschwand, kam mit einem Besen zurück, fegte den Kassenbereich, unterhielt sich mit einer Kollegin, checkte Nachrichten auf ihrem Telefon. Die Schlange an der Kasse wurde länger und länger. Es kümmerte sie kein bisschen. Ich liebe diesen Kontinent. Die wichtigste Einheit Deutschlands, spielt hier absolut keine Rolle: die Uhrzeit. Alles passiert, wenn es passiert. Dieser deutsche Schatten liegt schon lange hinter mir. Großartig!

Zurück im Hostel begannen Rupert und ich mit den Schnibbelarbeiten. Ich versuchte das einzige Messer zu schärfen, andernfalls hätte ich auch die Tischkante zum Schneiden benutzen können. Oli war lange Zeit Barkeeper und er zauberte uns leckere Margaritas. Unsere Idee: ein großer Salatteller mit Mixed Pickles, Wachteleiern, Rotisserie-Hühnchen, Orangenfilets, gerösteten Erdnüssen und einem scharfen Satay-Dressing. Nach einiger Zeit in der Küche war das Festmahl angerichtet.

Kochen auf Reisen ist ein wahres Abenteuer und ich liebe es. Man findet eine Küche vor, verschafft sich einen kurzen Überblick, welche Optionen es gibt und macht dann das beste draus. Die meisten Küchen werden nur fürs Spaghetti-mit-Tomatensauce-Kochen genutzt, doch ich treibe die Küchen gerne an ihre Grenzen.

Gut gesättigt und leicht angetrunken, gingen wir schlafen.

Am nächsten Tag stand der Besuch des berüchtigten Tempels „Huaca de la luna“ an. Dieser liegt etwas weiter außerhalb.

In der staubigen Sandwüste ragten felsige dunkle Berge in die Höhe. Eine leblose, unwirtliche aber imposante Gegend, die leicht außerirdisch anmutete. An einem der Berge sahen wir ihn dann: den Tempel.

Der Taxifahrer setzte uns ab und wir gingen das letzte Stück zu Fuß.

Die gesamte Tempelanlage war in großflächige Überdachungen gehüllt, das fand ich schade, das nahm dem Ort die eindrucksvolle Erscheinung von Außen. Wir folgten der Tour-Führerin und ließen uns den Ort zeigen.

Die Moche-Religion war brutal und erbarmungslos. Zeit wurde als immerwährender Fluss angesehen, so wie der Fluss des Blutes. Täglich fanden Opferungen statt. Junge Frauen wurden für die Fruchtbarkeit der Felder und für gute Ernten geopfert, junge Männer für die Stärke des Volkes und für den Kampfgeist. Die meisten Opferungen fanden an einem Opferfelsen statt, dieser wurde immer wieder vollständig mit Blut bemalt, man stelle ihn sich in einem dunklen Rot-Ton vor.

Der Opferfelsen: links im Bild

Oli zeigte auf Rupert und sagte in perfektem Spanisch: „Wann sehen wir eine Opferung? Es gibt einen Freiwilligen!“, die ganze Gruppe lachte.

Die massiven Mauern aus Sandstein-Ziegeln waren mit bunten Bildern und Symbolen verziert und die Farben überdauerten die Jahrtausende. Beeindruckend!

Im Inneren des Tempels lag eine seltsame unbehagliche Luft, ich konnte den Tod, der diesen Ort umgab spüren, der riesige felsige Berg hinter dem Tempel wirkte, als könne er sprechen. Streng, gewaltig aber gerecht.

Nach der Führung fuhren wir wieder zurück ins Hostel. Rupert und Oli wollten noch am Nachmittag nach Huanchaco aufbrechen, ein Nachbarort direkt am Strand bekannt für Surfen und anderen Wassersport. Ich brach abends in die Berge nach Huaraz auf.

Zwei tolle Tage in Trujillo lagen hinter mir, ich habe neue Freunde gefunden und nicht eines der vielen Erlebnisse hatte ich vorher geplant.

„Life is what happens while you are busy making other plans“ – John Lennon