An keinem Ort habe ich länger Zeit verbracht, als in Cotacachi. Keinen anderen Ort habe ich so gut kennenlernen können wie Cotacachi.
Als Tjorben und ich in Cotacachi ankamen, durften wir uns im Haus von Tjorbens Vater, seiner Frau und Tjorbens dreijähriger Halbschwester häuslich einrichten. Es gab ein Gästebett und eine große Couch aus Holz und Schilf gebaut. Wir beschlossen, uns jede Nacht abzuwechseln, da die Couch sehr hart war. Wir hatten gerade die Machu Picchu Wanderung gemacht und waren ziemlich fertig, die erste Woche wollten wir langsam angehen, gut schlafen, essen und im Ort bummeln. Cotacachi ist für seine vielen Ledermacher bekannt und das in Verbindung mit den günstigen südamerikanischen Preisen musste natürlich genutzt werden.
Ich sah Tjorben die Freude an, die andere Hälfte seiner Familie wiederzusehen. Er tollte mit seinem Vater und seiner Schwester im Garten umher, sie kümmerten sich um die Hühner und planten bauliche Veränderungen im großen Garten.

Ich tat die ersten Tage überhaupt nichts, schrieb für den Blog und folgte dem geregelten Tagesablauf der Familie. Morgens pünktlich um 6 Uhr weckte die kleine Schwester das ganze Haus, dann deckten wir zu 8 Uhr den Frühstückstisch, es gab guten Kaffee, frisch gepressten Saft und Brot mit verschiedenem Belag. Jeder am Tisch durfte essen, was er mochte. So lag auf jedem Teller etwas anderes. Danach wurde das Kind zum Kindergarten gebracht und im Haus kehrte ohrenbetäubende Ruhe ein. Wir hingen herum oder machten einen kleinen Abstecher in den Ort.

Um 13 Uhr wurde das Kind dann wieder abgeholt und es gab eine warme Mittagsmahlzeit. Dann fand verschiedenes Nachmittagsprogramm statt, bis wir dann abends um 18:30 Uhr zu abend aßen.
Tjorben und ich hatten endlich wieder die Gelegenheit uns in einer großen Küche auszutoben. So übernahmen wir öfter das Mittag- oder Abendessen. Wir konnten uns kreativ ausleben und der Familie viel Arbeit abnehmen. Jeden Tag gab es im Ort einen großen Markt mit allem, was das Herz begehrte. Für wenige Dollar deckten wir uns mit kiloweise Obst und Gemüse ein. Es machte immer wieder Spaß, neues unbekanntes auszuprobieren. Viele Sorten sind nicht zum Export geeignet, die gibt es nur im Herkunftsland. Die meisten schmecken aber einfach nur süß. Die Sonne verwöhnt die Pflanzen das ganze Jahr. Tomaten zum Beispiel wachsen so schnell, dass die Frucht erntereif ist, aber kaum Geschmack entwickeln konnte.


Ich entwickelte diverse Rezepte in dieser Küche, alle sind hier in der Kategorie Rezepte zu finden. Tjorben besaß ein kleines Buch, in das er alle Rezepte reinschrieb und reinschreiben ließ, die ihn so auf seiner Reise begeisterten. Ich mochte es lieber, völlig neue Ideen zu entwickeln, mit Zutaten und Zubereitungsarten, die für ein Land üblich sind, zu spielen. Jeder, wie er mag.
In einem meiner Lieblingsfilme „The Hundred-Foot Journey“ zu deutsch „Madame Mallory und der Duft von Curry“, sagt die Hauptfigur Hassan an einer Stelle:
„Rezepte haben eine Existenzdauer von 200 Jahren. Sind 200 Jahre nicht genug?“

Zwar sehen vor allem Italiener und Franzosen das völlig anders. Aber es geht ja um meine ganze eigene Philosophie in der Küche. Kochen ist Kunst, es gibt keine Regeln, keine Grenzen und über Geschmack lässt sich streiten. Jahrelang hab ich nach der Küchenpfeife anderer getanzt, meine Kreativität im kleinen Kämmerlein ausgelebt. Doch nun bin ich an der Reihe. Ab jetzt kommt 100 % Antonius. Versprochen!
Die Tage vergingen und wir hatten uns eingelebt. Wir gewöhnten uns an die regelmäßigen Mahlzeiten und genossen den Frieden. Das war der erste Urlaub unserer Reise.
Dann in der zweiten Woche machten wir unseren ersten Ausflug nach Peguche. Ein Künstlerort in der unmittelbaren Umgebung.

Am Ende der Ortschaft wartete ein kleiner Erlebnispark für Kinder. Dort gab es riesige Bäume, einen großen Wasserfall und drum herum viele verschiedene Spielplätze.

Wir hatten uns mit dem Pärchen aus Louisiana getroffen, diese brachten ihre Kinder mit, es war ein wildes Durcheinander aber eine wunderschöne kurze Unternehmung.


Auf dem Rückweg lachte mich ein kleiner Rollwagen an, an dem eine Frau gegrillte Fleischspieße verkaufte. Auf dem Spieß war Rind, Huhn, eine Kartoffel und Salchicha, eine Wurst, die in ganz Südamerika gegessen wird. Sie schmeckt bemerkenswert schlecht, enthält keine Gewürze und ist aus so fein püriertem Brät gemacht, dass wahrscheinlich alles mögliche darin landet. Aber die Einheimischen verleiben sie sich täglich und rund um die Uhr ein. Schlimm! Ich hatte aber irgendwie tierischen Appetit auf so einen Spieß.
Abends gingen Tjorben und ich dann im teuersten Restaurant der Stadt essen.

Wir bestellten beide einen Grillteller, so hatten wir die Karte verstanden. Ich bestellte eine doppelte Portion, ich hatte richtig Kohldampf. Statt eines großen Grilltellers, bekamen wir jeder einen ganzen Grill.

Wir waren beide nicht in der Lage die Portion aufzuessen, ließen uns den Rest einpacken. Für die Verpackung nahm man uns zusätzlich einen Dollar ab. Kluges Geschäftsmodell. Das ganze Essen kostete mich umgerechnet lächerliche 15,- €.
Als wir komplett übersättigt das Restaurant verließen, überlegte ich, warum ich die ganze Zeit so eine ungewöhnliche Lust auf Fleisch hatte. Doch die Antwort lag auf der Hand. Die lange Zeit auf 2500 Metern Höhe und die dauerhaft geringere Sauerstoffversorgung forderte den Körper, er produzierte vermehrt rote Blutkörperchen, um mehr Sauerstoff transportieren zu können und für die Neubildung benötigten die Stammzellen im Knochenmark viel Eisen. Und das ist viel in rotem Fleisch enthalten. Ich war beruhigt, das Rätsel war gelöst. Schon nützlich, so eine Ernährungstherapeuten-Ausbildung.
Mir fiel auf, dass ich seit Ankunft in Ecuador keine einzige Kopfschmerztablette mehr genommen hatte. Das Schlafen auf einer harten Unterlage tat mir sehr gut. Außerdem hatte ich auf Empfehlung eine Massage besucht. Meine Nackenverspannungen waren gelockert worden.
Ein paar Tage später planten wir dann die Tour zur Laguna Cuicocha. Den ausführlichen Bericht gibt es schon auf dem Blog.
Was wir in Cotacachi besonders liebten, waren die speziellen Märkte. Der Farmers Market fand Donnerstags statt, dort sammelten sich alle Amerikaner aus dem Ort, um überteuerten Bio-Kram zu kaufen. Aus aller Herren Länder kamen Leute und verkauften ihre selbstgemachten Dinge. Wir liebten es, dort zu frühstücken. Es gab tolle Empanadas von einem niederländischen Pärchen, Flensburger Pilsener und Bienenstich von Hans aus Kiel, Smoked Brisket und Rippchen von einem Amerikaner.

Samstags gingen wir immer zum Humpy Market, dort boten unzählige Bäuerinnen aus der ländlichen Umgebung ihre Agrarprodukte an. Mais, Avocados, Obst und Hülsenfrüchte wo man hinsah. Für ganz wenig Geld. Doch am besten war auch hier das Frühstück. Es gab frische Weizentortillas von der Tonplatte, heiße Coladas mit Brombeere und Zitrone und dazu gekochte Wachteleier mit Salz. Unglaublich gut!

Wir statteten Hans aus Kiel auch einen Besuch ab. Der führte einen Campingplatz in Ibarra an einem See. Er lockte uns mit gutem deutschen Essen und deutschem Bier. Leider war das Essen sehr teuer und ziemlich schlecht. In seiner Küche arbeiteten nur Einheimische und die haben natürlich nicht das Gespür für die deutsche Küche. Das Bier war gut aber auch sehr teuer. Ein Erdinger Weizen kostete 5,- €. Durch den Export schmeckt das Bier aber nicht wie zuhause, man schmeckt die lange Zeit in der Flasche. Es war aber eine Erfahrung wert.

Der Ort war aber wunderschön. Der Blick auf die Berge und auf den See bei Sonnenuntergang war definitv sehenswert.

Abends saßen Uli, Tjorben und ich immer auf der Terrasse, die beiden rauchten eine Tüte und tranken guten Rum. Ich hatte mir bei Hans ein Flens gekauft und genoss den Geschmack meiner norddeutschen Heimat.

Wir hatten immer gute Gespräche, ich konnte viel von Ulis Reiseerfahrung lernen und auch meine Weiterreise sollte auf seinen Geschichten aufbauen.
Die Aussicht von der Terrasse war egal zu welcher Tageszeit immer unfassbar schön!


In der letzten Woche brach ich noch zu den Siete Cascadas auf, der Artikel dazu findet sich ebenfalls schon auf dem Blog.
Rund um das Haus lebten viele Kolibris, sie hatten grün schimmerndes Gefieder, fiepten laut vor sich hin und preschten durch das Geäst der Bäume. Ich verliebte mich in diese Vögel, sie sind anmutig und wunderschön, immer wenn ich in mich gekehrt oder traurig war, besuchte mich ein Kolibri am Fenster. Mein neues Lieblingstier!
Trotz des Geschlemmes und des hedonistischen Lebensstils hatte ich konstant an Gewicht verloren. Meine Klamotten wurden immer weiter und die übrigen Gürtellöcher wurden knapp. Obwohl es für meinen Seelenfrieden nicht mehr wichtig war, so löste es doch ein gutes Gefühl aus. Abnehmen war in meinem Leben einfach mit einem guten Gefühl konditioniert worden. Ich kaufte mir eine hochwertige handgemachte Lederjacke für 80,- €, die wie eine zweite Haut anlag, um mich dafür zu belohnen. Mein Körper hatte das viele Fett über die Jahre gespeichert, um mit dem dauerhaften Stress fertig zu werden. Ich spürte zum ersten Mal, mein Körper brauchte es nicht mehr. Ich erkannte wie nie zuvor, Abnehmen ist weniger eine Frage von Essen, es ist eine Frage von mentaler Gesundheit und Stressabbau:
„Lebe ich wirklich MEIN Leben?“
Der Tag kam, da reiste Tjorbens Familie ab. Für vier Wochen würden sie Familie in Deutschland besuchen, wir blieben in ihrem Haus zurück. Wir unternahmen noch eine letzte gemeinsame Wanderung zur Laguna Mojanda und am nächsten Tag, es war Montag, der 1. April, nach drei Wochen Ecuador, trat ich alleine meine Weiterreise an.
Das erste Ziel: Trujillo, eine Küstenstadt im Norden Perus.