Antonius Eschke | Eine Reise

Aufbruch nach Ecuador

Samstag, 23. März 2024 | Reiseberichte

Der Tag nach Machu Picchu stand ganz im Zeichen der maximal möglichen Erholung. Um 20 Uhr sollte nämlich auch schon unser Flug zurück nach Lima starten.

Ich schlief aus, brachte meine Klamotten vom Vortag zur Wäscherei und machte einen Entspannungsspaziergang in der Stadt. Begleitet von Sonnenschein und frischem Obstsaft. Zum Frühstück genehmigte ich mir in einem edlen Etablissement namens „Ceviche“ ein gutes Ceviche Mixto, getoppt mit frittierten Calamari, dazu eine Limonada mit frischer Bergminze. Dem Trinkgefäß zu urteilen, gehört das „Ceviche“ wohl zum „Morena“.

Direkt nach meinem dekadenten Frühstück trafen Tjorben und ich uns wieder im Morena. Wir wollten unbedingt noch einmal dorthin, bevor wir Cusco verließen. Ich bestellte diesmal einen geeisten Grüntee, die gegrillte Regenbogenforelle auf einer Variation andinischer Kartoffeln und dazu einen Salat. Für mich war ein guter Salat immer schon das Highlight eines jeden Essens. Leider sehen die meisten Peruaner das völlig anders und so geziemt es sich, bei der Salatsuche in Perus Gaststätten eine Lupe zuhilfe zu nehmen. Nicht so in Cusco, auch dieses Mal überzeugte das Morena.

Tjorben probierte auf dringendes Anraten seines Vaters Alpacafleisch. Das Alpaca-Filet wurde in einer Demiglace aus peruanischem Rotwein auf einem Pilzrisotto mit Andenkäse gereicht. Ein wundervolles Gericht, ein Glück konnte ich meine furchtbare Alpaca-Erfahrung in Aguas Calientes noch einmal überschreiben. Alpaca schmeckt wie eine Mischung aus Schwein, Lamm und Rind und richtig zubereitet, ist es super zart.

Zum Dessert teilten wir uns die Churros mit Vanilleeis, Dulce de Leche und Espresso. Eine schmackhafte und sinnvolle Komposition.

Die Bohnen sind Deko – außer man steht auf Herzrasen.

Die Anstrengungen der letzten beiden Tage meißelten wohl ein tiefes Loch in meinen Magen, ich aß und aß und fühlte mich prächtig. Gut gesättigt, gingen wir nach dem Essen in unsere Hostels, um unsere Sachen zu packen. Auf dem Weg telefonierte ich mit einem Kumpel und hätte um ein Haar meine Wäsche vergessen. Glücklicherweise saß ich in Reichweite des Ladens und konnte in der Innenkamera-Ansicht des Telefonats sehen, wie der Inhaber dabei war, seine Pforten zu schließen.

Alle meine Sachen sauber und gut verstaut, lief ich rüber zu Tjorbens Hostel. Tjorben war dort seinem Naturell gefolgt, ich erreichte ihn an einem Tisch mit vielen anderen Leuten sitzend und Bier trinkend. So weit so bekannt. Ich setzte mich dazu, verzichtete aber auf das Bier. Auf der gesamten Reise hatte ich bislang nicht einmal das Bedürfnis gehabt, Alkohol zu trinken.

Es war 17:30 geworden, wir verließen das Hostel und hielten das nächste Taxi an. Auf spanisch vereinbarte ich ein Fahrtziel und einen guten Preis, „Wird langsam!“, dachte ich. Der Taxifahrer hielt vor dem Flughafengebäude, als würde er gerade seine Kinder zur Schule bringen. Das Gebäude war offen und wurde von einem gemütlichen Sicherheitsmann beaufsichtigt. So müssen Flughäfen vor dem 11. September ausgesehen haben. Wegen der Sicherheitskontrollen und anderer Zeitfresser, hatten wir uns zwei Stunden vor dem Abflug eingeplant, doch keine fünf Minuten später saßen wir vor dem Gate. So kann es gehen, doch was machen mit der übrigen Zeit?

Ich hatte noch 100 Soles, die ich in Ecuador nicht ausgeben könnte. Ich ging zu einem der Duty Free Shops und inspizierte die angebotene Ware. Ein gelbes Tshirt mit dem Logo „Inka Cola“ fiel mir ins Auge, ich blickte aufs Preisschild und darauf stand: „Frechheit“. Ich schlug zu und zahlte die 95 Soles (24,- €).

Stolz setzte ich mich zurück zu Tjorben, der glücklich und zufrieden mit seinem neuen Handy spielte, welches er sich in der Innenstadt für 100,- € gekauft hatte.

Unser nächstes Reiseziel war Cotacachi. Der Ort, um den sich die ganze Südamerikareise drehte. Tjorben nahm sich schon vor Jahren vor, nach der Ausbildung seinen Vater zu besuchen, der geistesgegenwärtig nach Ausbruch der Corona-Pandemie entschied, mit seiner Frau und Tochter einfach in Ecuador zu bleiben. Dieser schlug vor, den Besuch mit einer ausgiebigen Südamerikareise zu verbinden. Dem hatte ich mich dann zu gegebener Zeit angeschlossen.

Tjorben ließ für einen Moment von dem Gerät in seiner Hand ab und äußerte seine Angst, die Einreise in Ecuador aufgrund des fehlenden Führungszeugnisses verweigert zu bekommen. Vor mir saß der Mensch, der sich alleine von Vietnam über Kambodscha nach Bangkok per Anhalter durchgeschlagen hat, um einen falsch gebuchten Flieger zu kriegen und jetzt hatte er Angst, weil ihm ein albernes deutsches Dokument fehlte? Die Wege dieses Herrn sind unergründlich.

Angst. Warum sind wir Menschen ängstlich? An die ersten beiden Lebensjahre können wir uns nicht erinnern. Es gibt noch kein ausgeprägtes Bewusstsein. In dieser Zeit entwickelt sich das Unterbewusstsein, die meisten Urängste lernen wir in dieser Lebensphase. Wir lernen aber auch Strategien, um den Szenarien, die diese Angst ausgelöst haben, in Zukunft zu begegnen oder gänzlich aus dem Weg zu gehen. Betreibt man ein wenig Forschung in seinem eigenen Leben, kann man diese Ängste erfassen und sich ins Bewusstsein rufen. Ein Ort, an dem es erst möglich ist, sie zu bearbeiten, zu verändern oder sogar zu überwinden. Jeder Mensch ist einzigartig und so sind es auch die prägenden Erfahrungen und so sind es auch die Ängste.

Angst ist ein komplexer Mechanismus des Verstandes, des Egos und er erfüllt einen einzigen Zweck: Überleben. Das Überleben beinhaltet die Akzeptanz in der Gruppe, die Versorgungssicherheit von Nahrung und Wasser und die Versehrtheit des Körpers vor lebensbedrohlichen Gefahren wie zwischenmenschlicher Gewalt, Raubtieren, Krankheiten und Naturkatastrophen. Das wichtigste nach der Geburt ist die Liebe der Eltern, vor allem der Mutter, ohne sie sind wir ohnehin ausgeliefert. Dass du das hier lesen kannst, beweist: der Mechanismus hat bisher hervorragend funktioniert.

Das Überleben an sich ist in der heutigen Welt ziemlich abgesichert, doch der Angst-Mechanismus besteht wie eh und je, er pervertiert sich sogar auf Dinge und Situationen, die in keinster Weise lebensbedrohlich sind, wie das Sprechen vor Menschen oder Staub in der Wohnung. Die Herausforderung der heutigen Zeit ist, einen Weg zu finden mit den Ängsten zu leben oder sie gar zu durchbrechen. Denn Angst ist ein schlechter Ratgeber. Entscheidungen, die aus Angst getroffen werden, bieten keine Erfüllung. Und wenn die Angst über einen herrscht, gibt es kein Leben, keine Liebe.

Wenn du vor einer Entscheidung stehst, frag dich, welcher Weg ist der, der Angst und welcher ist der, der Liebe? Du wirst es wissen, sei mutig und lebe!

„Ängstliche lieben nicht, Liebende haben keine Angst“

Wir betraten die Thromboseschleuder. Um ein paar Euro zu sparen, übersprangen wir die Sitzplatzwahl bei der Buchung und überließen es dem Zufall, welcher Platz uns zuteil werden würde. Ich setzte mich zwischen eine junge Frau und einen älteren Herrn. Ich bemühte den Google Translator und fragte den Herrn, ob er vielleicht Plätze mit mir tauschen würde, damit ich am Gang säße und so etwas mehr Beinfreiheit hätte. Natürlich verstand ich seine Antwort nicht, der freundliche Blick in seinem Gesicht versprach aber eine positive Reaktion. Er winkte die Stewardess herbei, die mich beim Betreten des Flugzeugs bereits besonders nett angelächelt hatte und redete mit ihr. Daraufhin bat sie mich, sie nach vorne zu begleiten. Sie wies auf eine komplett leere Sitzreihe mit zusätzlichem Platz für die Beine. Jauchzend und frohlockend dankte ich ihr und dem netten Herrn, nahm Platz und folgte dem Schauspiel des Abhebens mit kindlichem Staunen. Ich liebe mein Leben!

Wir flogen 15 Minuten früher los und landeten 30 Minuten früher in Lima. Wir verließen die beflügelte Blechröhre und betraten den bekannten Flughafen. Zielstrebig gingen wir zum Ausgang, vorbei an den unzähligen Taxifahrern, die uns mit ihrem lauten Geschrei beim ersten Mal ziemlich eingeschüchtert hatten. Vor dem Gebäude sprachen wir eine Gruppe Taxifahrer an, ob uns einer zum drei Minuten entfernten Hostel fahren würde. Wir wussten ja mittlerweile, wie viel man in Peru für eine einfache Taxifahrt bezahlt und ließen uns von den massiv überteuerten Vorstellungen der Herren nicht beeindrucken. Wie die Weltmeister handelten wir den Preis runter auf 5,- €. Günstiger würden wir es nicht mehr bekommen und im Gegensatz zu den eingangs verlangten 15,- € war das ein guter Deal für ein Flughafentaxi.

Wir stiegen ein und fuhren zum Hostel zwei Straßen weiter. Das Hostel war hauptsächlich für Leute wie uns, zwischen zwei Flügen wechselnd und für die Zwischenzeit eine Bleibe suchend. Nach dem Check In legten wir im Mehrbettzimmer ab und gingen aufs Dach. Dort saßen ein Schweizer, Ende 50 und ein Brite Mitte 20. Wir setzten uns dazu und unterhielten uns. Es war ein tolles Gespräch. Mit manigfaltigen Verschwörungstheorien untermauert, zog der Schweizer über seine Regierung, den Fiskus und seine Vasallen her. Im Sinne des Eskapismus reiste er nun schon seit seiner Jugend. Der Brite war durch das Renovieren und Verkaufen alter Bruchbuden in Liverpool zu Wohlstand gekommen und nutzte die finanzielle Freiheit, um zu reisen. Eine spannende Runde eines Abends in Lima auf dem Dach. Es wurde spät bis wir ins Bett gingen. Der Flug von Lima nach Quito sollte entspannt um 10 Uhr vormittags starten.

Am nächsten Tag gingen wir um 8 Uhr zu Fuß zum Flughafen zurück. Bei Tageslicht ist es viel sicherer und es waren ja auch nur 15 Minuten Fußweg. Die Luft in Lima ist widerlich. Ein Tag in Lima herumlaufen, fühlt sich an, wie eine Schachtel Zigaretten rauchen. Der dichte chaotische Verkehr in Lima war nicht leicht zu überwinden, als Fußgänger waren wir ganz unten in der Nahrungskette, doch wir bekamen Hilfe von einer jungen Polizistin, die für uns mutig den Verkehr anhielt.

Das Prozedere am Flughafen war ebenso einfach wie rational. Hastig trank ich meine Flasche Wasser vor der Sicherheitskontrolle aus, ein Wachmann schaute mich verständnislos und fragend an: „It‘s okay to bring water!“. „Wenn Sie wüssten..“, hörte ich mich denken. Ich durfte alles behalten, die Sonnencreme, die Zahnpasta und sogar das Wasser. Ich freute mich und ja, ich möchte denjenigen sehen, der mit diesen Gegenständen ein Flugzeug entführt oder in die Luft sprengt. Zumal sie, nachdem sie einem jeden Mililiter abgenommen haben, flaschenweise brennbares Parfüm durch den Flieger karren.

Wir suchten unser Gate und staunten nicht schlecht. Die Fluggesellschaft feierte am Gate irgendein besonderes Ereignis, wir verstanden natürlich nicht, worum es ging. Feierte die Maschine heute ihren 80. Geburtstag? Oder der Pilot vielleicht? Keine Ahnung. Die Rollenverteilung dieser Airline musste jedenfalls noch aus dieser Zeit stammen. Die Herren in Anzügen ließen sich neben der Créme de la créme der Stewardessen ablichten, ihr Dresscode bestach durch besonders kurze Röcke und sehr hohe Absätze. Dann wurden wir in der Warteschlange erkannt und man bat uns, mit aufs Foto zu kommen. Vermutlich weil wir für sie wie qualitätsbewusste weiße Touris aussahen, die sich im Artikel des firmeninternen Mitarbeiterblattes gut machen würden. Wir bekamen noch einen miserablen gratis Kaffee und einen Jutebeutel voll mit Werbung und durften boarden. Was in aller Welt passierte hier? Ich bin nun wirklich kein Vielflieger, war das normal?

Ich bekam wieder einen Fensterplatz und die Möglichkeit den Start zu beobachten. Als der Flieger über der Stadt flog, konnte man sehen, wie dreckig die Luft wirklich ist.

Der dichte Schleier ist der Smog.

Der Flug war total angenehm, endlich konnte ich mal sehen, wie es ist, über den Wolken zu fliegen.

Irgendwann durchbrach die Maschine die Wolkendecke und die grüne Berglandschaft, die Sierra Ecuadors, kam zum Vorschein. Wir landeten in Quito und Tjorben zitterte vor Sorge, abgewiesen zu werden. Ich ging zum Schalter, ließ meinen Reisepass abstempeln und durfte passieren. Ich hatte mein apostilliertes Führungszeugnis zwar griffbereit aber die paar Wochen in Südamerika über hatte ich den Glauben an seine Notwendigkeit allmählich verloren. Tjorben zog alle Register und versuchte mit seiner charmantesten Art sicher einreisen zu dürfen. Erfolgreich kam er durch die Passkontrolle in meine Richtung, die Kontrolleurin soll ihn sogar gefragt haben, was er am Abend vor hätte. Unglaublich der Kerl!

Im Besucherbereich wartete Uli, Tjorbens Vater, schon auf uns. Wir begrüßten einander und gingen zur Bushaltestelle. Das Busfahren, merkte ich schnell, läuft hier etwas anders als in Peru. Das Land ist kleiner, die Busfahrten kürzer, der Service unkomplizierter und günstiger. Wir fuhren zur Panamericana, einer großen Straße die den gesamten amerikanischen Kontinent von Prudhoe Bay in Alaska bis nach Ushuaia in Argentinien verbindet. Sie ist an die 30.000 Kilometer lang und die längste zusammenhängende Straße der Welt.

An einem kleinen Lädchen kauften wir uns kalte Getränke. In Ecuador wird Güitig getrunken, ein Mineralwasser, welches durch natürliche geologische Prozesse mit Kohlensäure angereichert aus einer Bergquelle gewonnen wird. Das erste Wasser in Südamerika, das nicht nach den chlorhaltigen Aufbereitungs- und Filterprozessen in den Abfüllwerken schmeckte. Sehr erfrischend.

Die Fahrt dauerte insgesamt drei Stunden und die Landschaft war traumhaft schön.

Wir kamen in Cotacachi am Terminal an, dieser ist direkt am örtlichen Markt gelegen, mit einem angeschlossenen Food Court für die hungrigen Schüler aus dem Ort. Uli empfiehl uns eine Suppe mit Yucca und Thunfisch. Thunfisch gibt es hier durch die Pazifiklage des Landes in rauen Mengen. Die Suppe wird mit Zwiebeln, Limette und Popcorn gegessen. Wir bestellten auch eine Portion Bratreis mit Garnelen dazu. Ein reichhaltiges aber ausgewogenes Gericht, perfekt, wenn man so richtig Hunger hat.

Encebollado

Dann gingen wir zum Haus der Familie, das Haus in dem wir die nächsten Wochen verbringen werden. Es liegt etwas außerhalb in einem Vorort. Cotacachi ist eine Stadt mit ca. 10.000 Einwohnern. Viele amerikanische Senioren setzen sich hier zu Ruhe, es ist ruhig, sicher, gut versorgt und wunderschön gelegen. Die Kleinstadt ist bekannt für seine vielen Ledermacher, niedlichen Märkte und gutes vielfältiges Essen. Sie ist von drei großen Vulkanen umgeben und die Aussicht von der Dachterrasse sucht wirklich ihresgleichen.

Das Haus gleicht einer Villa, es ist großräumig, hat einen großen Garten und eine riesige Dachterrasse. Charakteristisch ist die gigantische gewölbte Fensterfront im Essbereich des Wohnzimmers.

Das alles für ca. 400,- € Miete im Monat. Hier kann man es sich wirklich gemütlich machen, Tjorben war heilfroh, endlich seinen Vater und die andere Hälfte seiner Familie wiederzusehen und ich freute mich darauf, den neuen Ort zu erkunden.