Bei unserem letzten Spaziergang in der Innenstadt von Puno, schlug Tjorben vor, in Cusco in unterschiedliche Hostels zu gehen. Es ging ihm ziemlich schlecht und nach drei Wochen permanenter Gesellschaft, hatten wir uns auch kaum noch was zu erzählen. Wir buchten uns also unterschiedliche Hostels und am Busbahnhof in Cusco angekommen, stiegen wir mit einem müden „Tschüssi“ in zwei unterschiedliche Taxis. 5 Uhr morgens in Cusco, ich war zum ersten Mal alleine auf meiner Reise unterwegs. Ich fragte den Fahrer mit dem bisschen Spanisch, was ich sprach, wo man in Cusco am besten Cuy a horno essen kann, ein im Ofen gebackenes Meerschweinchen. Er fuhr extra an einer Adresse vorbei, um mir sein Lieblingsrestaurant für Cuy zu zeigen. Da man den Preis für die Fahrt immer vorher festlegt, machte mir der kleine Umweg nichts aus. Die Menschen in Cusco sind sehr sehr freundlich.
Es war 5:30 Uhr, noch dunkel und mein Zeitgefühl hatte auch Urlaub genommen. So verabschiedete ich mich mit „Buena Noche“ von dem Taxifahrer. Ich betrat das Hostel und bat um einen frühen Check In, doch leider war dieser erst um 13 Uhr möglich, ich könne mich aber in die Lounge setzen und mit einer Decke warten. Seufzend folgte ich dem Rat der Rezeption, zog mir die wärmsten Sachen an, die ich dabei hatte und setzte mich in die Lounge. Selbige stellte einen Außenbereich im Innenhof dar und es waren kuschelige 8 Grad. Ich telefonierte einige Zeit mit einer Freundin in Deutschland, die meine Lage für unerträglich hielt.

Nach einer Stunde stimmte ich ihr zu und ging erneut zur Rezeption. „Do you have a Single-Bed-Suite i can take? I‘m tired and i’ll pay anything for it!“, die Dame änderte meine 8€-Reservierung für das 12-Bett-Zimmer in eine 18€ Single-Bed-Suite. Ich konnte mein Glück kaum fassen, schon oft musste ich meine Freude über die günstigen Preise in Peru zurückhalten, ich wollte schließlich keine schlafenden Hunde wecken.
Sie führte mich von dem Innenhof in das Zimmer. Erleichtert erleichterte ich mich meiner Sachen, ging ins Bad und erleichterte mich. Erleichterung!

Das Zimmer hatte zwar keine Heizung aber die Dame gab mir zu dem Handtuch noch einen kleinen Heizventilator. Ich bemannte das große Bett, versorgte den Heizventilator mit Strom und meine müden Gliedmaßen mit himmlischer Wärme. So schlief ich ein.
Um 11:30 erwachte ich. Ich ging zum Fenster, öffnete die Läden. Vor mir tat sich eine wunderschöne Aussicht über die Dächer des antiken Viertels Cuscos auf.

Ich liebte es hier und ich hatte zwei Nächte gebucht. Ich ging zu den Gemeinschaftsbädern und gönnte meinen Trekkingsocken und mir eine warme Dusche. Ein bisschen Wasser und vorsichtiges Auswringen und die Merinowolle ist wie neu.
Es war wärmer geworden, ich zog mir leichte Kleidung an und ging in die Stadt. Zum ersten Mal alleine, erkundete ich den Ort an dem wir waren. Vorbei an den wunderschönen uralten Gebäuden, die einst Inka bewohnten, vorbei an großen prunkvollen Plätzen und schönen Kirchen aus der Kolonialzeit. Die Stadt kombiniert die indigene und die Kolonial-Kultur auf unglaublich harmonische Art.
Ich ging zum großen Plaza de Armas, das Zentrum Cuscos. Der Hunger und die Neugier trieben mich in ein Lokal: „Morena – Peruvian Cuisine“. Ich wurde hofiert und außergewöhnlich freundlich empfangen. Mir wurde Raul, mein persönlicher Kellner, zugeteilt und dieser hat mich an einem Tisch direkt am Fenster platziert.

Er sprach gutes Englisch und ich fühlte mich wohl, der Gast war König. Ich studierte die Karte und schwebte im siebten Himmel, es gab klassische peruanische Küche im aufwendigen Fine Dining Stil. Ich bestellte mein Lieblingsgetränk, die Limonada Frozen und dazu das Osobuco, eine geschmorte Rinderbeinscheibe in einer Demiglace mit peruanischem Rotwein, auf andinischem Kartoffelpüree und gegrilltem Babygemüse. Das ganze kostete umgerechnet 15,- €.


Die fehlende Gesellschaft ersetzte Raul, mein Kellner. Wir unterhielten uns über das Wetter, das Essen und die Reise. Nachdem wir ein englisches Gespräch auf hohem Niveau geführt hatten, entschuldigte sich Raul für seine schlechten Englisch-Kenntnisse. Wahrscheinlich kommen dort oft arrogante Amerikaner oder Briten zum Essen hin, es ist immerhin die teuerste Adresse von Cusco. Ich bestellte noch einen Americano, ich wollte endlich mal wieder guten Kaffee trinken, in der Heimat war ich immer sehr verwöhnt worden, doch in Peru bekam ich bisher immer eine wässrige Plörre, die nur entfernt an Kaffee erinnerte. Doch der Kaffee hier war eine Wohltat.
Ich zahlte und gab ein saftiges Trinkgeld, so gut war ich noch nie bedient worden. Nachdem sich das gesamte Personal, sowohl Service als auch Küche, von mir verabschiedet hatte, verließ ich das Gebäude. Gut gestärkt ging ich vorbei an Museen, teuren Kleidungsgeschäften und wunderschönen Fassaden. Cusco ist bezaubernd.

Ich holte mir einen frisch gepressten Saft und setzte mich an einen Springbrunnen, die Sonne schien und friedlich tummelten sich ein paar Leute auf dem Platz. Ich beobachtete das Geschehen und versank in einen Zustand der Dankbarkeit.

Eines der ersten Worte die wir Menschen lernen ist „Mehr“. Es ist Fluch und Segen zugleich. „Mehr“ brachte der Menschheit den Fortschritt, nie waren Menschen so gesund, langlebig, wohlhabend und gebildet wie heute. Doch „Mehr“ birgt eine große Gefahr. „Mehr“ ist ein Wahnsinn, dem man schnell anheim fällt. „Mehr“ ist ein Spiel, welches nicht gewonnen werden kann. „Mehr“ hat kein Ende, „Mehr“ ist eine Suche, eine Sucht.
Mein Leben lang wuchs ich in einer Welt von „Mehr“ auf. Mehr Geld, mehr Arbeit, mehr Statussymbole, mehr Eigentum, mehr Klamotten, mehr Essen, mehr Spiele, mehr Ansehen. Ich habe mich gefragt, wann ist es endlich genug. Eine Welt, die vom Ego beherrscht wird. Es ist nie genug!
Doch Genug ist der Reichtum des Weisen.
Genug ist die Antwort. Genug ist eine Entscheidung. Ich habe genug. Ich bin genug. Ich habe die Entscheidung getroffen. Ich treffe die Entscheidung täglich neu. Genug ist das Tor zur Glückseeligkeit. Losgelöst von Bedingungen, losgelöst von Anprüchen und Erwartungen, es ist einfach genug! Ich empfinde Freude an allem.
„Wo die Begierde erlischt, ist der Arme reich, doch wo sie herrscht ist der Fürst dem Sklaven gleich.“
Ich sitze zwei Stunden an diesem Springbrunnen. Ich sehe das Wasser sprudeln, dampfen, sprühen, spritzen. Manchmal trägt der Wind die Gischt auf meine Wangen. Die Sonne brennt auf meiner Haut, ich bin ihr ja auch 3,5 km näher gekommen. Auf einer Bank sitzt ein schmusendes Pärchen, auf einer anderen ein entspannt sitzender, telefonierender Mann. Es gehen Menschen in schicken Anzügen vorbei, andere tragen Lumpen. Zwei Straßenhunde knurren sich an, gehen dann ihrer Wege. Zwei Gärtnerinnen gießen die aufwendig angelegten Blumenbeete mit dem Wasser aus dem Springbrunnen. Dieser Ort ist genug. Und ich nehme an ihm Teil. Ich bin dankbar!
„Wenn alles passt, bin ich glücklich!“ spricht das Ego. „Sei glücklich und alles passt!“, antwortet die Seele.
Am nächsten Morgen lag ich im Bett und überlegte mir, wie ich den Tag verbringe. Alleine entscheiden zu können, ist unglaublich entspannt. Tjorbens Neugier ist immer unersättlich, so hatten wir Peru bisher in einer Art Schnelldurchlauf erlebt, jetzt hatte ich aber die Gelegenheit den Ort in meinem Tempo zu erleben. Ich fragte Chat GPT, was er denn so an Ideen für Cusco parat hätte. Er schlug vor, sich den Ausblick über die Stadt vom Christo Blanco aus zu erfreuen. Einer großen Jesus-Statue auf einem Hügel, unweit von meinem Hostel entfernt. Tjorben fragte mich per Nachricht, was ich vor hätte und der Plan gefiel ihm, so schloss er sich an.
Wir gingen die steilen Straßen hinauf zum Waldanfang. Die Strecke war kurz aber anstrengend.

Es wurde grün und waldig, ich freute mich, zwischen Büschen, Bäumen und Bächen fühle ich mich der Natur am meisten verbunden. Wälder waren für mich immer schon Rückzugsorte des Friedens und des Einklangs.

Wir schlugen uns durch das dichte Gestrüpp zur Spitze des Hügels vor und Chat GPT behielt Recht, der Ausblick war wunderschön und der Ort kraftvoll. Ein großer Christus mit offenen Armen strahlt eine merkwürdige Geborgenheit aus.

Wieder genoss ich meine Teilnahme an diesem Ort, die Erhabenheit über die Laster dieser Welt. Wir alle sind wunderbare Geschöpfe vereint unter der Herrlichkeit des Lebens. Eines dieser Geschöpfe setzte sich neben uns und tat nichts weiter als zu existieren und dabei unendlich schön zu sein.

Bereichert stiegen wir wieder ab. Ich hatte Tjorben ausführlich von dem Restaurant erzählt und er war nun Feuer und Flamme dafür, dort erneut Essen zu gehen. Ich konnte auch rund um die Uhr essen, die Höhe erhöht den Leistungsumsatz immens. Jeder Schritt verbraucht doppelt so viel Energie, wie in Nordeutschland. So gingen wir in Richtung Zentrum und betraten das Morena. Wieder erhielten wir eine Bedienung und einen Platz an der Sonne. Ich bestellte dieses Mal das Ceviche de Trucha, die Regenbogenforelle. Tjorben entschied sich für ein leichtes vegetarisches Gericht, eine dicke Suppe aus Quinoa mit kandiertem Kürbis, Babymais und jungen Riesenbohnen. Zum Nachtisch bestellten wir ein Gericht, welches einfach „Cocoa“ hieß. Und der Name war Programm. Es war wieder ein Festmahl.



Mit großem Abstand hatten wir hier das beste Essen auf unserer Reise bekommen.
Obwohl Cusco eines der wenigen festen Reiseziele war, buchten wir früh Flugtickets nach Ecuador. Es blieben uns fünf Tage in Cusco, Tjorben war ungeduldig und wollte unbedingt seinen Vater sehen. Ich hatte Verständnis dafür, obgleich ich gerne länger in Cusco geblieben wäre. Doch eine wichtige Sache blieb zu tun, ein Erlebnis, welches unausweichlich zu einer guten Peru-Reise gehört.
Für die letzten beiden Tage bemühten wir uns, irgendwie eine kurzfristige und günstige Tour zur größten Sehenswürdigkeit unserer Südamerikareise zu ergattern:
Machu Picchu.